Nach Stationen bei Hannover United II und dem RSC Osnabrück in der RBBL2N hat Anna-Lena Henning im Januar den Sprung zum BBC Münsterland in die 1. Rollstuhlbasketball-Bundesliga geschafft. Fotos: Bargiel

Hannover. Anna-Lena Hennig hat Biss. In den Zweikämpfen kann ihr so leicht keiner das Wasser reichen. Hochkonzentriert arbeitet sie gegen ihren Trainingspartner, der zwischen zwei Linien auf dem Boden versucht, an ihr vorbeizukommen. Links-rechts-Drehungen, Abstoppen, schnelle Reaktionen – es rappelt ordentlich, wenn die Rollstühle ineinanderkrachen. Ballhandling, Ausdauer und Krafttraining sind weitere Inhalte, die ihre Trainingseinheiten füllen. Die 21-Jährige mit einer spastischen Diparese ist Mitglied im Team BEB und spielt in der U25-Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Frauen sowie mit dem BBC Münsterland in der 1. Rollstuhlbasketball-Bundesliga (RBBL1). Auf Position eins verteilt sie die Bälle und trägt dadurch die Verantwortung für die Umsetzung der Strategie und den Spielfluss. Schnelle Entscheidungen zu treffen, bedeutet für sie Herausforderung und Einflussmöglichkeit zugleich. 

Das Spiel verzeiht keine Nachlässigkeit

"Ein Spiel kann sich innerhalb von Sekunden vollständig verändern", betont Anna-Lena Hennig. Eine Erfahrung, die sie schon mehrfach gesammelt hat. So wie im Spiel um den Einzug ins Viertelfinale bei der Weltmeisterschaft in Thailand 2019. "Wir haben bis kurz vor Schluss geführt und den Sieg dann doch noch hergegeben", erinnert sie sich. "Dieser extrem schnelle Sport verzeiht einfach keine Nachlässigkeit." Nicht zuletzt das ist der Grund für die talentierte Athletin, intensiv an ihren individuellen Fähigkeiten zu arbeiten. Aufgrund ihrer Behinderung muss sie im Vergleich zu ihren Team-Kolleginnen in einigen Bereichen mehr investieren. "Meine Koordination und meine Balance sind schlecht", nennt sie die zwei wesentlichen Herausforderungen.

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Anna-Lena Hennig kam vier Monate zu früh zur Welt und erlitt bei der Geburt einen Schlaganfall. Dieser schädigte den Bereich im Gehirn, der für die Motorik der Beine zuständig ist. "Das wurde aber erst entdeckt, als ich fünf Jahre alt war. Bis dahin meinten die Ärzte, dass ich einfach ein bisschen länger brauche als andere Kinder." Bis zum Alter von acht Jahren wurde sie mehrfach operiert, um die stark verkürzten Muskeln in den Beinen zu verlängern. "Mit Rollator und Orthesen konnte ich dann laufen bis ich 13 war, aber die Pubertät hat alles wieder verschlimmert." Am Ende gab es zum Rollstuhl keine Alternative, auch wenn sich das Mädchen damals "mit Händen und Füßen dagegen gewehrt" hat, wie sie sagt. Als der Arzt ihr empfahl Sport zu treiben, begann sie sich langsam mit dem Rollstuhl zu arrangieren.

2013 hat Anna-Lena Hennig in einer Reha-Klinik Rollstuhlbasketball kennen und kurz darauf bei der RSG Langenhagen lieben gelernt. "Dafür bin ich heute noch sehr dankbar", betont sie. Sie hatte ihre Sportart gefunden und bewies Talent. 2016 zog sie ins Lotto-Sportinternat und spielte seitdem für Hannover United in der zweiten Mannschaft. Im Januar 2020 folgte der Wechsel nach Osnabrück. "Dort konnte ich auf meiner Position mehr Spielzeit bekommen und mich besser entwickeln", erklärt sie und blickt dennoch ein bisschen wehmütig auf ihre Hannover-Zeit zurück.

Niemals im Stillstand

Der Sport ist für Anna-Lena Hennig von unschätzbarem Wert. Als sie an einer Essstörung erkrankte, unterstützten ihre Familie, ein Netzwerk aus Ärzten und Psychologen und ihr sportliches Umfeld die junge Sportlerin intensiv. Aber auch die Perspektive, bei der WM in Thailand im Aufgebot zu stehen, trug zur Stabilisierung bei. "Der Sport hat mir Hoffnung gegeben. Spätestens mit dem Einstieg ins Flugzeug wollte ich die Krankheit abschließen. Für den Sport muss und will ich einfach gesund bleiben“, sagt sie nachdrücklich. Auch körperlich hilft ihr der Rollstuhlbasketball ganz entscheidend. "Auf lange Sicht wirkt sich das Training positiv auf meine Spastik in Armen und Beinen aus. Allerdings muss ich zugleich aufpassen, dass ich nicht zu viel mache, weil die Spastiken dann nachts kommen." Bei acht bis neun Trainingseinheiten pro Woche ist es unter anderem dieser  Balanceakt, der Anna-Lena Hennig vorantreibt. Und noch mehr: "Rollstuhlbasketball ist schnell und niemals im Stillstand. Die Technik und die Spieler entwickeln sich ständig weiter. Dementsprechend bist du in deiner Entwicklung nie fertig", erläutert sie.

Zuletzt hat die COVID-19-Pandemie diese Entwicklungsmöglichkeiten stark ausgebremst. Weil mit dem zweiten Shutdown alle unteren Ligen den Spielbetrieb einstellten und auch kein Team-Training mehr erlaubt war - so auch beim RSC Osnabrück –, ist Anna-Lena Hennig seit Januar beim BBC Münsterland aktiv. Kraft und Ausdauer lassen sich zwar auch zu Hause gut trainieren. Aber die Einheiten in der Gemeinschaft sind für die 21-Jährige enorm wichtig. "Das Team-Training dreimal pro Woche gibt mir mein sportliches Leben und meine Struktur wieder. Außerdem kann ich hier wertvolle Erfahrungen sammeln." Und mit dieser Perspektive blickt sie der neuen Saison erwartungsvoll entgegen.

Weitere Information zu Anna-Lena Hennig

  • ist Mitglied der U25-Damen-Nationalmannschaft und im Team BEB
  • spielt beim BBC Münsterland in der 1. Bundesliga
  • wurde 2019 mit der Nationalmannschaft Fünfte bei den Weltmeisterschaften
  • möchte mit ihrem Stipendium in den USA Ernährungswissenschaften studieren

 

VON HEIKE WERNER

 

 

 

 

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